D-Diplom: Lehrreiche Tage in Lindabrunn

Trainerausbildung D-Diplom

LEHRREICHE TAGE IN LINDABRUNN

Das D-Diplom ist die erste Stufe im österreichischen Trainerwesen. NÖN-Redakteur David Aichinger teilt seine Eindrücke.

Sonntag, 22 Uhr. Die gröbste Arbeit für unsere „Transferausgabe“ ist getan. Vor wenigen Tagen endete die Übertrittszeit in den Amateurfußballligen, in der darauffolgenden NÖN-Ausgabe sind traditionell alle Wechsel nachzulesen. Spannend für die Leser und Leserinnen, und auch für uns Redakteure – aber auch richtig viel Aufwand. Den Montag, unseren Redaktionsschlusstag, müssen die Kollegen diesmal alleine bestreiten, die letzten Schritte finalisieren sie ohne mich. Wenn sie sich Montagfrüh wieder auf die Seiten stürzen, werde ich in Lindabrunn sitzen und in den Fußball-Kindertrainer-Lehrgang, die erste Stufe der österreichischen Trainerausbildung, starten.

Nach der NÖN ist also vor dem Trainerkurs, an Schlafen ist noch nicht zu denken. Seid ihr eh geimpft, getestet oder genesen, fragen meine beiden Vereinskollegen, mit welchen ich den Kurs besuchen werde, via WhatsApp? Habt ihr die Covid-Erklärung ausgefüllt und retourniert? Hey, wir haben knapp acht Stunden vor Kursbeginn, was glaubt ihr denn? Nein, hab ich noch nicht gemacht. Ich klopfe also nochmal in die Tasten meines Laptops und mache trotz Impfung noch einen Selbsttest – sicher ist sicher, und die Infos in den Anmeldeunterlagen, was denn nun gefordert sei, waren nicht ganz eindeutig –, bevor es endlich ins Bett geht. Tagwache fünf Uhr morgens, Treffpunkt 5.45 Uhr vor meiner Haustür.

Genau dort versammeln sich meine Mitstreiter dann auch, mitweilen schon etwas nervös. Es ist 5.55 Uhr, meine Türglocke ist da, ich nicht. Ring, ring. Jawohl, ich bin munter. Mein einjähriger Sohn auch. Gut gemacht, Papa. Und jetzt lässt du dich auch noch drei Nächte lang nicht zu Hause blicken. Das fällt auch mir nicht leicht, aber was sein muss, muss sein. Schließlich wollen wir im August eine neue Nachwuchsoffensive bei meinem Heimatverein starten, und dafür auch gerüstet sein.

„IN SIEBEN KILOMETERN BITTE WENDEN“

Die Autofahrt nach Lindabrunn verläuft kurzweilig. Ich habe es tatsächlich geschafft, in 34 Jahren Leben und 27 Jahren Fußball noch nie in der dortigen Sportschule aufzuschlagen. Meine Kollegen waren auch noch nie dort. Die Abfahrt sei direkt auf der A2, meint einer der beiden, das Handy samt Navigationsgerät fest in der Hand. Wir plaudern und plaudern, die Zeit verfliegt. Jetzt müsste die Abfahrt langsam kommen, oder? Stille. „In sieben Kilometern bitte wenden“, tönt es aus dem wieder aktivierten Navi. Die richtige Abfahrt liegt 30 Kilometer hinter uns. Neue Ankunftszeit: 7.52 Uhr. Acht Minuten vor Kursbeginn. Okay, was hätten wir auch schon so zeitig dort gemacht?

Das zweite Hoppala des Tages erfolgreich korrigiert, erreichen wir, nach Vorstellung beim Empfang und Abholung unserer Zimmerschlüssel, wenige Sekunden vor acht Uhr den großen Konferenzraum. Kursleiter Manfred Uhlig steht schon bereit, die 26 Kollegen und Kolleginnen auch. Ah, Auersthal ist auch da, dann kann es ja losgehen.

Uhlig (58) ist Leiter der Traineraus- und fortbildung beim Niederösterreichischen Fußballverband und promovierter Sportwissenschafter. Letzteres gilt auch für seinen Zwillingsbruder Johannes. Gemeinsam wird uns das launige Duo, das auch an der Uni Wien tätig ist, durch den ersten Kurstag leiten. Die Art und Weise, wie sie versuchen, ihre wichtigsten Botschaften nachhaltig in unseren Köpfen zu verankern, fällt sofort auf: „fußballtypischer Schmäh“, Wechsel in Sprachrhythmus und Lautstärke, markante Fragen, dramaturgische Pausen. „Ich bin jetzt acht, neun Jahre alt“, sagt ein völlig aufgekratzter Johannes Uhlig dann, die Augen aufgerissen, die Hände zur Seite gestreckt, auf und abzappelnd. „Ist das gscheit, wenn ich mit möglichst vielen unterschiedlichen Bällen spielen soll, und nicht nur Fußball? Na sicher ist das gscheit. Ihr werdet jetzt denken ihr sitzt da beim Fußballtrainerkurs und der Uhlig sagt euch ihr sollt mit den Kindern Tennisspielen. Themenverfehlung! Ich geh heim. Griaß eich. Wiederschauen. Wiederschauen.“

Drei nahe sitzende Zuhörende mit der obligatorischen „Corona-Faust“ abgeklappert, dreht der ehemalige Trainer des Wiener Sport-Club freilich wieder um. Die Pointe ist gesetzt, die Botschaft klar. Kinder sollen so viel wie möglich und so variantenreich wie möglich spielen. Die Entwicklung ihres Ballgefühls wird es uns danken.

EXTREM JUNGE GRUPPE MIT VIELEN FRAUEN

Bevor es erstmals auf das Fußballfeld geht – die ganzen vier Tage über wird es einen ständigen Wechsel zwischen Theorie und Praxis geben – folgen weitere Schlüsselbotschaften. Übung macht den Meister ist eine, Fußballspielen lernt man durch Spielen eine weitere. Ein vielseitiges Bewegungsangebot schaffen, kleine Spielformen wählen, viele Ballkontakte und viel Spielzeit für jeden garantieren, seien zentrale Ziele. Lachen, lernen, leisten. Jedes Kind verbessern, als Sportler und als Mensch.

Nach kurzer Umziehpause am Trainingsfeld angekommen, stechen drei Dinge ins Auge. Erstens: Der Rasen ist ein Traum. Zweitens, was durch die Hektik in der Früh und ganz hinten im Saal sitzend gar nicht aufgefallen war: Der Altersdurchschnitt ist extrem niedrig. Mir war klar, dass es Trend ist, immer früher ins Trainerwesen zu starten. Doch hier sind 17-, 18-, 19-, 20-Jährige, und davon nicht zu wenig. Mit 34 der Drittälteste zu sein, hatte ich auch nicht unbedingt erwartet. Und drittens: Sechs der 29 TeilnehmerInnen sind Frauen, was für einen tollen Mix sorgt. Knapp 21 Prozent – kein schlechter Wert, und ein Aufzeigen, dass Fußball längst ein Spiel beider Geschlechter geworden ist.

Einige der Frauen zeigen in den folgenden kleinen Spielformen, die wir gleich mal selbst ausprobieren dürfen, auch, dass sie richtig gut kicken können. Das Niveau ist divers, vom ehemaligen Akademie- oder Landesliga- über den aktuellen Gebietsliga-Kicker bis zu weniger austrainierten Spielern ist alles dabei. Mir macht der Körper wie gewohnt mehr zu schaffen als der Kopf, hohe Temperatur und pralle Sonne tragen ihres bei. Johannes Uhlig ist erstaunt, er schätzt mich auf 24, die tatsächlichen 34 lassen seinen Blick erstarren. Was er ernst meint, ist schwer abzulesen, der Mann könnte Schau- oder Pokerspieler sein. Wie gut wir selbst beieinander sind, tut aber auch nicht allzu viel zur Sache, betonen die Vortragenden: wir wollen schließlich Trainer werden, und brauchen künftig einen anderen Zugang zu Übungen und Spielformen, als sie selbst bestmöglich auszuführen.

KÖSTLICHE, ABER FLEISCHLASTIGE VERPFLEGUNG

Nach einer ersten Dusche lernen wir die Kantine der Sportschule kennen. Das Personal ist freundlich, das Essen ausgezeichnet, auch für Vegetarier ist genug dabei, nicht nur am umfangreichen Salatbuffet. Fleischlastig ist es dennoch, mittags und abends, jeden Tag. Zumindest ein fleischloser Tag pro Woche könnte im Jahr 2021, noch dazu auf einem Sportcampus, schon einmal drin sein.

Einem kurzen Mittagsschläfchen folgt ab 14 Uhr bereits der zweite Teil des Tages, wie immer geteilt in Theorie und Praxis. Spielmethodik und weitere Spiel- und Übungsformen stehen auf dem Programm. Verschiedenste Variationen und mögliche Coaching Points, also Punkte, auf die man besonders achtet und die sich in der Folge für Hilfestellung in Richtung der Kinder anbieten, werden herausgearbeitet. Um 18 Uhr ist Schluss für heute, das Abendessen gibt mir den letzten Rest. Trotz der Anstrengung fühlt es sich ein wenig wie Urlaub an, einen Tagesablauf mit so viel Fokus auf sich selbst hat man als junger Familienvater selten. Ich liege früh im Bett und schlafe so lange wie ewig nicht mehr. Das Gefühl ist eindeutig: es war eine gute Entscheidung, hierherzukommen.

WENN DAS GEHIRN (NOCH) NICHT MITSPIELT

Ab Dienstagfrüh mischen sich weitere Vortragende in das Kursprogramm. Auf einen Spezialisten für kognitive Inhalte im Fußballtraining folgen später noch zwei St. Pöltener Akademietrainer und ein Fitnessexperte. Ersterer hinterlässt mit seiner Eingangsübung sofort bleibenden Eindruck. Die scheinbar einfache Aufgabe: an einer Hand den Daumen heben, an der anderen den kleinen Finger ausstrecken. Dann wechseln, hin und zurück, schnell. Was beim Vortragenden im Flow geht, führt bei mir fast zu Knochenbrüchen. Doch der Reiz ist neuerlich gesetzt.

Wie man solche auch ins Training integrieren kann, erleben wir wenig später auch auf dem Feld. Akustische Anweisungen, die ausgeführt werden sollen; deren Gegenteil ausgeführt werden soll; oder auch, in der Steigerung, die ident nachgesprochen werden sollen, während das Gegenteil ausgeführt wird. Rechenaufgaben, deren Ergebnis gewisse Handlungen, etwa Sprints in verschiedene Richtungen, auslösen. Visuelle Reize wie verschiedenfarbige Hütchen oder Tore, die je nach angezeigter Farbe anvisiert werden und ständig wechseln können, oder auch verschiedenfarbige Bälle – der Kreativität scheinen keine Grenzen gesetzt. Noch schneller handeln zu können, wird den Fußball in den kommenden Jahren prägen – davon sind alle Vortragenden überzeugt.

Fußballtechnik findet sich in den folgenden Stunden und Tagen ebenso noch am Stundenplan wie Trainingsplanung, Pädagogik, Coaching, Kondition, Erste Hilfe oder jede Menge kleine Spielformen vom Eins gegen Eins und Zwei-gegen-Zwei über Drei-gegen-Drei und Fünf-gegen-Fünf bis zum Sieben-gegen-Sieben und Neun-gegen-Neun in den älteren Jahrgängen. Sie alle eint das Ziel, den Kindern ein jeweils altersgerechtes Lernumfeld mit vielen persönlichen Erlebnissen zu ermöglichen. Kurzum: Sie sollen vorbei sein, die Zeiten, als Unmengen an Kindern einem einzigen Ball hinterherjagten.

DIE RÜCKKEHR DER FFP2-MASKE

Nicht vorbei ist das Zeitalter des Coronavirus, auch das wird in Lindabrunn deutlich. Ab Mittwoch müssen zwei männliche Kollegen plötzlich FFP2-Maske in Innenräumen tragen, als einzige in der Gruppe. Sie hatten am Wochenende an einem Testspiel ihres Vereins teilgenommen, nach welchem ein gegnerischer Spieler einen positiven Test ablieferte. „Wenn das jetzt wieder so anfängt, fangen wir gar nicht erst an mit der Meisterschaft“, sieht einer aus dem Duo bereits Schwarz. Er muss heute lange unter der Maske aushalten. Von 19 Uhr bis 20.30 Uhr steht, wie schon am Vortag, noch eine Abendeinheit an. Der „Kindertrainerkurs“ wurde kürzlich zum „ÖFB-D-Diplom“ und von fünf Tagen auf vier gestrafft. Die bieten dafür volles Programm. Für einen Abstecher in die Bar, der am Mittwoch ziemlich lang und lustig wird, ist trotzdem Zeit. Zwischendurch werke ich immer wieder an der Übung mit Daumen und kleinem Finger. Es wird besser.

Dann geht unser Aufenthalt in Lindabrunn aber auch schon langsam zu Ende. Lehrauftritte in Zweiergruppen bilden den vorletzten, großen Programmpunkt. Gewöhnlich dürfen hier Kinder angeleitet werden, die sich auf Trainingslager befinden und uns sofort ein ehrliches Spiegelbild zu den gewählten Inhalten bieten würden. Wegen Ferienzeit und Corona müssen wir selbst gegenseitig als Probanden einspringen, was vor allem bei zahlreichen Rondo-Varianten nochmal etwas für die persönliche Kondition bewirkt. Das Feedback ist wohlwollend, wir können dennoch vieles nachbesprechen und mitnehmen. Zum Abschluss folgt ein kleiner theoretischer Test, der auch ohne vorhergehende Wiederholung zu schaffen ist. Die Vermittlung der Kernpunkte war im überwiegenden Teil des Kurses einfach zu prägnant, als dass man an diesen Fragen scheitern würde.

SECHS MONATE PRAXIS BIS ZUM DIPLOM

Mit einem Diplom in Händen dürfen wir den Ausbildungsort nach dem obligatorischen Gruppenfoto trotzdem noch nicht verlassen. Um den Kurs abzuschließen, muss eine sechsmonatige Praxis als hauptverantwortlicher oder Assistenz-Trainer im Kinderbereich (bis U12) dokumentiert werden, die mindestens zehn schriftliche Trainingseinheiten, oder alternativ fünf schriftliche Einheiten und eine Videodokumentation zu einem Training enthält. Eine Aufgabe, der wir uns in Auersthal mit Freude stellen werden. (NÖN)                                                                                                                                   

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